„Das Wort Zigeuner ist so gut oder so schlecht, wie man uns behandelt“

Voraussichtliche Lesedauer des Artikels: 5 Minuten

Letzte Änderung des Artikels am 14. September 2021 von Aranita

Alle paar Monate kommen irgendwelche Gutmenschen an und fordern Begriffe zu verbieten. Besonders häufig passiert das bei dem Begriff „Zigeuner“. Ob „Zigeunerschnitzel“, „Zigeunersoße“ oder die Bezeichnung von Zigeunern als „Zigeuner“ – Selbsternannte Weltretter meinen, dieser Begriff sei „böse“ und müsse deshalb verboten werden.

Der Duden, der stets an vorderster Front von Sprechverboten, Sprachverschandelung und angeblicher Diskriminierung von Begriffen zu finden ist, behauptet, „Zigeuner“ sei „Angehöriger des Volkes der Sinti und Roma“ sowie eine „männliche Person, die ein unstetes Leben führt“. Beides ist falsch. „Zigeuner“ beschreibt eine Volksgruppe. Außerdem sind Zigeuner sowohl Männer als auch Frauen und Zigeuner sind weit mehr, als nur Angehörige der Sinti und Roma. Auch führen bei weitem nicht alle Zigeuner ein „unstetes Leben“. Hier beschreibt der Duden keinen Fakt, sondern er dient nur als Propagandaschleuder dafür, dass „Zigeuner“ ein „böses“ Wort sein soll.

Es gibt in der Tat einen Verband, der den Begriff „Zigeuner“ ablehnt. Es ist der „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma„. Ein Verband, der durchaus umstritten ist, auch wenn die meisten Deutschen glauben, dieser Verband sei die einzig wahre Instanz für das Volk der Zigeuner. So sind, laut einer Aussage von Natascha Winter, alle hauptamtlichen Mitarbeiter des Zentralrats durchweg keine Zigeuner. Natascha Winter war bis zu ihrem Tod im Jahre 2012 erste Vorsitzende der Sinti Allianz Deutschland. Sie betonte, die Bezeichnung „Zigeuner“ sei für die Zigeuner nie ein Thema gewesen, ja sie hätten sich gegenüber Außenstehenden immer selbst so genannt. Mit einem Seitenhieb auf den Zentralrat fuhr sie fort, dass eine „Minderheit von Vereinsfunktionären“ jeden als „Rassisten“ bezeichne, der den Begriff „Zigeuner“ verwendet.

Gegenüber der „Welt“ sagte Winter in einem lesenswerten Bericht kurz vor ihrem Tode, „Ich bin glücklich und stolz, eine echte Zigeunerin zu sein. Beide Elternteile waren Zigeuner. Ich gehöre dem Volk der Sinti an, genauer gesagt, ich bin von den Württembergern“. Der Artikel in der „Welt“ ist mit den Worten „Wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut“ überschrieben. Im Bericht wird auch der Autor Franz Remmel erwähnt, der den Bulibascha, das Oberhaupt der rumänischen Zigeunerfamilien mit folgenden Worten zitiert: „Sagst du zu mir Rom, dann beleidigst du mich. Nennst du mich Zigeuner, dann sprichst du mir zu Herzen.“

Ein weiteres Beispiel beschreibt vielleicht ganz gut das Dilemma dieses Themas. Der NPD-Abgeordnete Tino Müller hatte im Schweriner Landtag beantragt, fünfundfünfzig in Mecklenburg geduldete kosovarische Roma unverzüglich in ihre Heimat abzuschieben. In seiner Rede verwendete der NDP-Politiker mehrmals den Begriff „Zigeuner“, worauf der Vizepräsident des Landtags, Hans Kreher von der FDP, dem NPD-Politiker nach drei mahnenden Ordnungsrufen das Mikrofon abschaltete. Krehers Begründung war, der Begriff „Zigeuner“ sei diskriminierend.

Natascha Winter erklärte zu diesem Vorfall, der Ordnungsruf gegen Tino Müller habe in ihrer Gemeinschaft besorgte Diskussionen ausgelöst. Wörtlich sagte sie gegenüber der „Welt“, „Die Verwendung des Begriffs Zigeuner sollte nicht zu einem Ordnungsruf führen. Dies trägt dazu bei, dass die Volksbezeichnung von zwölf Millionen Menschen, die in Europa leben, tabuisiert wird.“ Und weiter: „Eine positive Einstellung zu uns und unseren Kulturen erreichen wir nicht, indem wir leugnen, Zigeuner zu sein und jedem mit Strafverfolgung drohen, der den Begriff Zigeuner wertfrei verwendet. Die Entgleisungen von Herrn Müller wären nicht dadurch akzeptabler gewesen, wenn er statt von Zigeunern von Roma gesprochen hätte.“

Bernhard Streck, der emeritierte Direktor des Leipziger Instituts für Ethnologie, bricht den Streit um den Begriff „Zigeuner“ hauptsächlich auf monetäre Befindlichkeiten und Macht herunter: Der „Welt“ sagte er, „Es geht bei diesem Namensstreit einzig um Macht, Einfluss und Gelder. Und um ein schlechtes Gewissen bei Journalisten, die unter keinen Umständen unkorrekt erscheinen möchten“.

Auch Tibor Racz wehrte sich in der taz dagegen, den Begriff „Zigeuner“ zu verdammen. Er schrieb: „Ich bin Zigeuner. Und ich bin nicht damit einverstanden, dass der Begriff „Zigeuner“ ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort ist. Und gleichzeitig finde ich es schwierig, dass einige meiner Bekannten mich nicht „Zigeuner“ nennen. Mit dem Gebrauch politisch korrekter Begriffe stellt sich nicht unmittelbar Respekt ein. Und die alltägliche Diskriminierung wird nicht dadurch geringer, dass man die Bezeichnungen „Sinti“ und „Roma“ benutzt.“ Weiter schrieb er: „Wenn jemand mich fragt: ‚Du arbeitest, du hast studiert, warum nennst du dich Zigeuner?‘ Dann antworte ich: ‚Weil ich ein Zigeuner bin, genauso wie diejenigen, die keine Arbeit haben und nicht studieren konnten'“. Später zitierte er seine Eltern, die sagten: „Das Wort Roma ist scheinheilig. Wir sind Zigeuner. Wir haben uns niemals Roma genannt. Und dieses Wort ist so gut oder so schlecht, wie man uns behandelt.“

Im August 2020 veröffentlichte die Deutsche Sprachwelt ein Statement der Sinti Allianz. Deren zweiter Vorsitzender, Manfred Drechsel, sagte: „Es gibt in dem Millieu, die Saucen etc. umbenennen möchten, scheinbar die falsche Vorstellung, einem ‚Antiziganismus‘ entgegenzutreten. Die Sinti Allianz Deutschland lehnt diese Form der Sprachhygiene ab, auch jegliche Form der Sprachüberwachung. Die Mehrheit der Sinti, die wir vertreten, verfolgt diese unwürdige ‚Saucendiskussion‘ kopfschüttelnd. Es ist richtig, die Bezeichnung Zigeuner wird von uns selbst verwandt. Selbst Überlebende der Nazi-Diktatur benutzen diese Bezeichnung in ihren Biographien als Überbegriff, und auf Grabmalen wird die Bezeichnung Zigeuner häufig als Inschrift gewählt. Zum Begriff Zigeuner vertreten die Angehörigen der Sinti Allianz Deutschland aus Respekt vor allen anderen Zigeunervölkern die Auffassung, dass mangels eines von allen Zigeunervölkern akzeptierten neutralen Überbegriffs auf die eineinhalbjahrtausend Jahre alte historische Bezeichnung Zigeuner nicht verzichtet werden kann – sofern diese wertfrei benutzt wird. Eine Zensur oder Ächtung des Begriffs Zigeuner, durch wen auch immer, sollte und darf es nicht geben.“

Ich habe vor vielen Jahren dieses Thema mit einem Zigeuner diskutiert, der mir das Thema anhand eines Beispiels erklärt hat. „Stell dir vor“, sagte er, „irgend ein Verband, mit dem du nichts zu tun haben willst und von dem du dich niemals vertreten gefühlt hast, verlangt von dir, du dürftest dich nicht mehr ‚Deutscher‘ nennen, sondern du musst dich ab sofort ‚Sachse und Schwabe‘ nennen, obwohl du ein Bayer bist, nur weil er das so will. Wie würdest du dich dabei fühlen?“. Weiter sagte er, „Jeder, der von uns verlangt, uns ‚Sinti und Roma‘ zu nennen, zensiert und stiehlt unsere Identität als Zigeuner“.

Nicht jeder Begriff, den irgendein Lobbyverband brandmarkt, ist wirklich „böse“. Nicht Begriffe diskriminieren, Menschen diskriminieren.



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1 Antwort

  1. Vielen Dank für diesen Artikel, der mich vieles gelehrt hat, was ich bisher nicht wusste. Ich dachte, alle Zigeuner lehnen diesen Begriff ab.

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